Krishan ist wieder auf einem seiner Waldgänge unterwegs. Die macht er immer nur mit Ronja, seiner treuen Hündin. Mit ihrem rotbraunen Fell ist sie im Schnee gut zu sehen, wie sie aufmerksam schnüffelnd vorausläuft.
Seine eigenen Schritte knirschen gleichmäßig im gefrorenen Schnee…
Er fühlt die beißende Kälte im Gesicht, doch die Vorfreude auf die warme Stube bei Kaja lässt gar keinen Gedanken an Umkehr zu. Er schreitet gleich noch weiter aus, dort vorn auf der Lichtung steht schon die Holzhütte.

Doch seltsam, es steigt heute kein Rauch aus dem Kamin. Krishan stößt einen leisen Pfiff aus – Ronja kommt sofort herbei gelaufen. Alarmiert stellt sie die Ohren auf und schaut ihn mit dunklen Augen an. „Still Ronja!“ weist Krishan sie an und nimmt mit einer fließenden Bewegung seinen Eibenbogen in die Hand. In letzter Zeit treiben sich hier manchmal Wolfsrudel um und es gibt auch andere dunklere Wesen im Wald. Die Feagol machen keine Gefangenen – Krishan fühlt eine ungute Vorahnung in sich aufsteigen.
Vorsichtig geht er in Richtung der Hütte, und verflucht in Gedanken den Schnee, der jeden Schritt überlaut wirken lässt. Seine Augen schweifen über die Umgebung, doch es ist keine Bewegung zu erkennen. Der Wald ist stumm und starr. Am Haus angekommen sieht er es gleich – die Tür hängt schief in den Angeln und steht leicht offen. Eine Falle? Krishan konzentriert sich ganz auf Ronja und öffnet seinen Geist, behutsam verbindet er sich mit ihren Sinneswahrnehmungen.
Ein leichter Rauchgeruch. Kühler Wind an der Schnauze. Und dann ist da noch ein Geruch, den er nicht einordnen kann. Auch in Ronjas Geist nimmt er die Irritation wahr. Sollten sie wirklich noch hier sein? Er sendet einen behutsamen Impuls an Ronja und diese schleicht vorsichtig zur Tür. Im Inneren ist es dunkel, nur von der Feuerstelle ist ein leichtes Glimmen zu sehen. Als Ronjas Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, werden mehr Einzelheiten sichtbar. Ein umgestürzter Stuhl, auf dem Boden verteilte Kleidungsstücke…

Plötzlich legen sich kalte Hände um Krishans Hals und drücken unerbittlich immer fester zu. Verzweifelt röchelnd geht er zu Boden, seine Hände lassen kraftlos den Eibenbogen fallen, tiefe Schwärze umfängt seinen Geist.
Als er wieder zu sich kommt spürt er als erstes den harten Holzboden unter seinem Körper und dann das raue Stück Stoff in seinem Mund. Und dann eine bodenlose Leere in seinem Geist. Ronja! Heiß fährt der Gedanke durch ihn hindurch. Was ist geschehen?
„Na, wieder wach, Seelenwanderer?“ spricht eine schnarrende Stimme aus dem Dunkel des Raumes.
Krishan wendet den schmerzenden Kopf und dann sieht er ihn: Einen grauschwarzen Schemen, übergroß und doch klein, eine gestaltgewordene Sinnesverwirrung. Ein Feagol.
„Ja, Seelenwanderer, nun siehst du mich und ich kann dir noch eines verraten – es wird das letzte sein, was du in dieser Welt siehst. Jetzt sprich! Wo verbirgt sich die Traumreisende? Wie nennt ihr sie? Kaja?“ – wie Holzsplitter bohren sich die Worte in Krishans Kopf. „Ach ja, du kannst ja nicht sprechen – doch das lässt sich korrigieren.“
Mit einer eckigen Bewegung holt der Schemen aus und das Tuch wird aus Krishans Mund gezogen. Kalte Angst erfüllt Krishan, denn er erkennt seinen Irrtum. Das Wesen ist nicht einfach ein Feagol. Es ist ein Dunkeldämon, magiebegabt und unerbittlich in seinen Zielen. Zeit. Er muss Zeit gewinnen.
„Ich weiß es nicht“ antwortet er mit rauer Stimme. Ja, wo ist Kaja? Wenn der Dämon es nicht weiß, besteht eine kleine Hoffnung, dass sie noch lebt. Doch wo kann sie nur sein?
„Ihr nennt es Loyalität, wir nennen es Dummheit, Seelenwanderer. Sprich, wo ist die Traumreisende? Dir bleibt nicht viel Zeit, meine Geduld ist sehr begrenzt.“
Verzweifelt versucht Krishan einen klaren Gedanken zu fassen, eine Lösung zu finden. Wo kann Kaja sein? Plötzlich spürt er eine leichte Präsenz in seinem Geist – Ronja! Ein warmes Gefühl der Erleichterung durchströmt ihn. Wenn er sie spüren kann, muss sie dem Dämon bisher entgangen sein. Das heißt, er ist nicht unfehlbar.
„Ich wollte sie hier treffen, doch fand das Haus verlassen vor.“ bekennt Krishan.
„Dann such!“ zischt der Dunkeldämon bedrohlich und kommt langsam näher. Grautrübe Schwaden bilden sich, lösen seine Konturen auf, die Fesseln fallen von Krishans Händen und Füßen ab und er wird auf die Beine gezogen.
Jetzt. Er müsste handeln, irgendetwas tun, um dem Dämon Einhalt zu gebieten. Doch was soll er machen? Krishans Gedanken rasen und gleichzeitig erfüllt ihn kalte Entschlossenheit. Eine letzte Chance gibt es, doch die ist unumkehrbar und wird alles unwiderruflich verändern. Vorsichtig tastet er nach Ronjas Sinnen. ‚Varghaleon simdrano kum‘ – stumm spricht er in Gedanken das Gebet und die Göttin erhört seine Anrufung. Mit einem leisen Aufschrei bricht Krishans Körper zusammen. Ronja und Krishan werden eins.
„Nein!“ krächzt der Dunkeldämon, als er seinen Fehler erkennt. Doch es ist zu spät. Von hinten fällt ihn ein Geisterhund an, in gleißendes Licht getaucht. Der Hund schlägt seine Fangzähne in den Hals des Dämons und beißt zu. Ein hässliches Knacken ertönt, als damit auch die magischen Verbindungen zertrennt werden. Mit einem ohrenzerfetzenden Kreischen löst sich der Dämon in Nebelschwaden auf und zerfließt.
Eine tiefe Stille erfüllt die Hütte, einzig durchbrochen durch ein leises Hecheln. Ronja leckt sich die Pfoten und jault leise. Sie spürt Krishans Präsenz – doch anders als zuvor. Tapsend läuft sie zu Krishans Körper und beschnuppert diesen vorsichtig. Das Seelenband ist geknüpft – wie werden sie nun gemeinsam leben?
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