Feandiras Magen knurrte. Seit heute Morgen irrten sie durch den Schimmerwald und hatten keinen einzigen Pilz und keine Beere gefunden. Geschweige denn irgendein Wild, das sie hätten schießen können.
Die Ältesten hatten sie gewarnt, den Schimmerwald gar nicht erst zu betreten, aber Feanor hatte ihre Bedenken beiseite gewischt: „Ach, was soll schon geschehen? Wir suchen den Tiefensee, holen uns einen Kristallstein und kehren mit ihm zu Zaprok zurück, damit er uns hilft, ihn mit Heilenergie aufzuladen.“
„Ja genau!“, murmelte sie vor sich hin… Wieder knurrte Feandiras Magen. Sie hätten wenigstens etwas Fluvyr mitnehmen sollen, als Stärkungstrank, aber das einzige, was sie beide in der Eile eingepackt hatten, war eine Wasserflasche – und die war inzwischen auch fast leer. Nirgendwo war eine Spur des Tiefensees zu entdecken. „Feanor! Lass uns umkehren…“ Er drehte sich zu ihr um. Mit einem fassungslosen Blick sagte er: „Du willst doch jetzt nicht aufgeben – wo wir vielleicht so kurz vor unserem Ziel sind?“
„Feanor, wir gehen jetzt seit Stunden in diesem götterverlassenen Ort und haben seither keine Spur eines Lebewesens gesehen! – Und ich habe Hunger…“ fügte sie etwas kleinlaut hinzu.
Er packte sie bei den Schultern: „Feandira, du weißt, was Zaprok uns gesagt hat. Ohne den Heilstein kann Dinah nicht gesunden und du weißt, dass man ohne sein Seelentier aus der Gemeinschaft der Hüter ausgeschlossen wird. Das kann ich nicht riskieren. Es ist…“ er stockte.
„Dein Leben?“ setzte Feandira den angefangenen Satz für ihn fort.
„Ja!“, entgegnete er mit Nachdruck. „Und du müsstest das besser verstehen, als jede andere.“
Schweigend nickte Feandira. „Lass‘ uns weitergehen.“
„Danke.“, sagte Feanor schlicht und blickte dabei tief in ihre Augen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sah Feandira in einiger Entfernung einen silbernen Schimmer zwischen den Bäumen hervorleuchten. „Feanor, schau!“, sagte sie ganz aufgeregt und das Magenknurren war schlagartig vergessen. Im Laufschritt gingen sie darauf zu und – tatsächlich – das musste der See sein.
An seinem Ufer lagen tausende glimmender Steine in allen Regenbogenfarben.
„Wählt einen roten“ hatte Zaprok ihnen als Rat mit auf den Weg gegeben. Und so liefen sie mit zu Boden gerichteten Blicken am Seeufer entlang, bis Feanor schließlich einen rubinrot schimmernden Stein aufhob. „Meinst du, er wird genügen?“ fragte er Feandira. Sie trat näher und schaute sich den Stein an. Plötzlich sah sie ein leichtes Leuchten und pulsieren im Stein… Wie züngelnde Flammen.
Hinter sich hörte sie ein Knistern und Knacken. Sie drehte sich um und erstarrte. „Feanor, der Wald brennt!“, rief sie und schaute hektisch in die Runde. Wasser, sie brauchten Wasser, um das Feuer einzudämmen – der See! Feandira fasste ihr Seelenamulett an der Kette und begann eine Beschwörungsformel zu sprechen. Feanor verstand, fasste an sein eigenes Amulett und stimmte in die Beschwörungsworte ein. „Assam lahr eh‘ drainon il tsewahrah schainon un elechwah tisnedan roh.“
Langsam begann sich die Wasseroberfläche des Sees zu kräuseln, als ein leichter Wind aufkam und schließlich Wellen schlagen ließ. „Ann tewalah irnon tsi tekanoh il adrai enn“. Der Wind verstärkte sich und eine wirbelnde Wassersäule entstand, die höher und höher wuchs und sich schließlich zum Wald hinüberneigte. Als sie den Saum der brennenden Bäume erreichte verstärkten Feanor und Feandira ihre Beschwörung. Dampfschwaden stiegen in den Himmel, als die ersten Wassertropfen die Flammen zu ersticken begannen.
Schließlich zischte das letzte kleine Flämmchen in einem wütenden Trotz und wurde zuletzt vom Wasser besiegt. Erschöpft ließ Feandira sich zu Boden sinken. Die Anrufung der Magie hatte ihr das letzte Fünkchen Energie entzogen. Feanor sank neben ihr in die Knie. Auch ihm war die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben. Wenn sie jetzt doch etwas zu Essen dabei hätten! Feandira wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, doch ihrem Hunger nach musste es bald auf den Abend zugehen.
„Wir sollten nach Hause aufbrechen, Feanor!“, sagte sie.
„Ja, Feandira und danke dir. Du bist eine wahre Freundin.“ entgegnete er.
Gedankenverloren öffnete er seine Hand. Darin lag der Stein. Doch war er nun von einem leuchtenden, strahlenden blau. „Wie ist das geschehen?“, fragte er sich laut.
„Ich weiß es nicht, doch Zaprok wird uns Antworten geben können“ sprach Feandira. Müde machten sich beide auf den Weg zurück und als sie den Wald verließen, meinten sie ein leises dankbares Wispern zu hören.
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