Naturgewalten – Kurzgeschichte

„Feuer, Wasser, Erde, Luft,
bilden die Naturgewalten,
willst ein wahrer Magier sein,
musst du lernen, sie zu halten…“

Wie oft hat Sarosh diesen Reim schon gehört und sich nichts weiter dabei gedacht. Schließlich hat er als Töpferlehrling ganz andere Sorgen. Und doch – nachdenklich zerreibt er einen Krümel Tonerde zwischen Daumen und Zeigefinger. Seit Kratok, der Magier, zum ersten Mal hier in der Töpferwerkstatt aufgetaucht ist, sieht Sarosh seine Werkstücke mit anderen Augen.

Wasser und Tonerde für die Rohlinge, Luft zum Vortrocknen und Feuer für den Brennofen . Bitter lacht Sarosh auf. Als ob er je… Plötzlich spürt er eine schwere Hand auf seiner Schulter. Meister Bolduan. „Höre mein Junge, du kannst bei mir vieles lernen, doch ich kann dir nicht deine Sehnsucht erfüllen. Wenn der Magier das nächste Mal hier auftaucht, entscheide dich: Willst du den sicheren oder den ungewissen Weg gehen?“ Mit diesen Worten lässt er ihn zurück und geht vor das Haus eine Lieferung Tonerde entgegen zu nehmen.

Wie vom Schlag getroffen sitzt Sarosh auf seinem Hocker. Er? Mit dem Magier gehen und Meister Bolduan zurück lassen, der ihm der Vater ist, den er nie hatte? Verzweifelt knetet er den Tonklumpen mit beiden Händen und wie von selbst entstehen Formen. Ein Herdfeuer. Eine Kugel. Ein Wasserkrug. Ein Klumpen.
„Feuer, Wasser, Erde, Luft,
bilden die Naturgewalten,
willst ein wahrer Magier sein…“ murmelt Sarosh vor sich hin. Will er das denn?

Ein Schatten fällt durch die Tür in die Werkstatt und Sarosh blickt gedankenverloren auf. Doch es ist nicht Kratok, der dort steht. Stattdessen schaut er in die tiefblauen Augen von Felinea – sie ist im Unterschied zu ihm bereits im zweiten Lehrjahr – und muss unvermittelt trocken schlucken. Sie zurück lassen? Sei kein Narr, ermahnt er sich selbst. Was würde ein solches Prachtmädel wie sie denn mit ihm anfangen. Töpfern kann sie schließlich selbst.

Mit plötzlich aufflammender Wut knallt Sarosh den Tonklumpen auf den Tisch. „Na, mit dem falschen Fuß aufgestanden?“ fragt Felinea neckend und zwinkert ihm zu. „Da hab ich das richtige Mittel. Siranja hat frische Teiglocken gebacken. Möchtest du eine?“ Auffordernd hält sie Sarosh ein duftendes Backwerk hin.

Und plötzlich wird ihm bewusst, wie sehr er dieses freche Grinsen vermissen würde. Lächelnd taucht er die lehmigen Hände in den Waschzuber und trocknet sie mit dem bereitliegenden Leinentuch ab. Immer noch lächelnd nimmt er das duftende Backwerk, beißt genüsslich hinein und murmelt mit vollem Mund „Danke!“. Soll Kratok ruhig kommen, Sarosh hat seinen Platz bereits gefunden…

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