Manchmal kehrt keine Ruhe ein. Egal wie sehr man auch versucht, die Situation zu ändern. So war zwar für eine Zeit lang eine Beständigkeit auf dem Berufskolleg erreicht, aber daheim hing der Haussegen so richtig schief.
Mein Vater leidet unter einer Angsterkrankung und neigte dazu, meine Schwester und mich zu kontrollieren. Aus heutiger Sicht verstehe ich, wie sehr er sich sorgte, wir könnten durch die Eigenständigkeit falsche Entscheidungen treffen, oder uns selbst verlieren. In dem Dschungel von narzisstischen Idealen da draußen, auch gar nicht so abwegig, aber leider lässt sich die Welt nicht so einfach ändern.
Es bringt nichts, sich einzubunkern. Fehler gehören zum Leben nun mal dazu und sind ein wichtiger Teil, um aus Erfahrungen zu lernen. So empfand unser Vater die Entwicklung unserer eigenen Interessen und Werte für bedrohlich und es hagelte durchgehend Verbote.
Irgendwann war ein Zustand erreicht, an dem ich nicht mehr wollte. Weil die vielen Konflikte und Auseinandersetzungen emotional belastend waren und ich meine Energie für die Berufsschule brauchte, sprengte ich meine inneren Fesseln und entschied mich frühzeitig auszuziehen. Meine Schwester tat es mir gleich und da wir uns einig waren, zogen wir mit Unterstützung einer Familienhilfe aus. Wir nahmen in Kauf, auf die finanzielle Unterstützung unserer Eltern zu verzichten, bzw. hatten keine andere Wahl, da unser Vater dahingehend alles so stark kontrollierte, dass für uns alles, was mit Kosten verbunden war, unerreichbar blieb.
Die Armut, in die wir rutschten, war für uns zunächst gefühlter Reichtum, weil wir das erste Mal Geld, nur für uns hatten! Das alles, während wir in Wahrheit ein gut bürgerliches Leben, für einen anderen Sozialstatus eintauschten, der uns noch ziemlich zu schaffen machen sollte.
Ohne diesen Schritt hätten wir uns nicht autonom entwickeln können. Ich werde es nie vergessen, wie wir in unsere erste Wohnung zogen, erbärmlich froren und die Dame vom Jugendamt uns als verwöhnt deklarierte, weil wir nicht bereit waren, im Winter, auf einer nackten Matratze auf dem Boden zu schlafen. Generell versuchte man das Verhältnis zu den Eltern komplett zu zerstören.
Unfassbar, wie abwertend man in unserem Beisein über unsere Eltern sprach. Die Situation verwirrte uns sehr. Der Ablösungsprozess war wichtig und löste viele Probleme, aber wir liebten sie. Wir wollten heilen und uns auf das eigenständige Leben einstellen, uns von ungünstigen Verhaltensmustern lösen und nicht anfangen, unser Elternhaus zu hassen.
Wir hatten das Gefühl, uns zwischen unseren Bedürfnissen und den Sichtweisen unserer Eltern entscheiden zu müssen. Ein Dazwischen gab es nicht. Hätte ich diesem Schwarzweißdenken bis heute zu viel Raum geben, so würde ich heutzutage gar nicht nach meinen Werten leben. Das Jugendamt hat, durch diese Erfahrung, einen sehr bitteren Beigeschmack für mich.
So musste ich erst einmal begreifen, dass dort durchaus Menschen arbeiten, die selbst toxische Persönlichkeiten aufweisen und ihre subjektiven Ansichten durchzusetzen versuchen, um sich über ihren Beruf selbst aufzuwerten. Das Leid vieler Kinder wird missbraucht, um die eigenen Ideale weiterzureichen. Das Ziel sollte sein, Kinder zu schützen und den Familien dabei zu helfen, wieder einen gesunden Zugang zueinander zu finden.
Das wird nicht immer möglich sein, wohl aber häufiger als so manch einer denkt.
Nach heutigem Stand jedenfalls bin ich mir sicher, dass die zuständige Dame der Familienhilfe toxisch war und viele meiner Grenzen überschritt. Sie verunsicherte mich sehr und vermittelte immer wieder den Eindruck, ich müsse gehorchen, wo ich doch auf ihre Hilfe angewiesen war. Sie ließ mich bei Behördengängen oft nicht frei sprechen und stellte ihre Interessen, vor die meiner Schwester und mir. Ihrerseits existierte wenig Mitgefühl bezüglich unseres Schicksals. Schließlich gab es laut ihr, ganz andere Fälle und überhaupt, waren wir zu verwöhnt und hatten von jetzt auf, eben weniger Komfort.
Kommentar verfassen